Plutonium ist weltweit als „das gefährlichste Element überhaupt“ bekannt, welches in natürlicher Form fast nicht vorkommt: Auf 140 Milliarden Uranatome soll ein Plutoniumatom kommen. Weltweit wurden allein für den Bau von etwa 70.000 Atombomben ca. 250 Tonnen „militärisches“ Plutonium produziert (heute gibt es noch ca. 27.000 funktionsfähige Atomsprengköpfe!). Hinter sog. nuklearen Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland über die „Entsorgung von je 34 Tonnen ihres überschüssigen und veralteten Plutoniums der Atomsprengköpfe“ verbirgt sich - werbewirksam als Abrüstung getarnt - ihr ungelöstes Entsorgungsproblem, an dem sie noch weiter Geld verdienen wollen.
Auch das Plutonium in Atombomben zerfällt und hat daher eine befristete Haltbarkeit, d.h. es muss entweder immer wieder aufwändig und teuer „gereinigt“ oder entsorgt werden.
Dazu kommt eine noch größere Menge an „zivilem“ Plutonium. Das Labor SPIEZ, die den Schutz der Bevölkerung vor atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen und Gefahren“ im schweizerischen Spiez, veröffentlichte im Jahr 2002 hierzu: „In zivilen Reaktoren wurden bisher weltweit etwa 1400 Tonnen erzeugt. Die zivile Plutoniummenge nimmt jedes Jahr um ca. 70 Tonnen zu. Der größte Teil dieses Plutoniums, ca. 1200 Tonnen, befindet sich noch im hochradioaktiven, abgebrannten Kernbrennstoff. Etwa 225 Tonnen liegen in separierter Form vor. Sie wurden in einem komplizierten chemischen Prozess, in so genannten Wiederaufbereitungsanlagen, von allen anderen Materialien im Brennstab getrennt.“ Jedes eingesetzte AKW-Brennelement besteht am Ende aus knapp 1 % Plutonium. Und es wird fleißig weiter produziert!
Es geht hier also weltweit um riesige Mengen Plutonium, von dem nur wenige Kilogramm als Spaltstoff für einen nuklearen Sprengsatz ausreichen!

Geschichtlicher Hintergrund
Der hiesige wirtschaftliche Aufschwung ab den 60er Jahren und die Ölkrise in den 70er Jahren führten zu der Annahme eines weltweiten Anstiegs des Strombedarfs und damit einhergehend auch zur Angst vor einer zukünftigen Uranverknappung und Verteuerung. Die Wissenschaft setzte auf die Erforschung der „Schnellen Brüter“-Technologie (z.B. in der BRD im Forschungszentrum GKSS in Geesthacht bei Hamburg) und die Entwicklung von MOX (Mixed Oxide) Brennstäben: „Dieser Reaktortyp (Schneller Brüter) produziert Energie auf der Basis der Spaltung von Plutoniumkernen, ist aber gleichzeitig so konfiguriert, dass auch Plutonium für den weiteren Betrieb des Reaktors „erbrütet“ wird“... „Eine weitere Idee ist, in den Leichtwasserreaktoren einen Teil des Urans durch Plutonium zu ersetzen“(SPIEZ). Das war weltweit der Start - in der BRD in elf AKWs – für den Austausch von max. 1/3 der Brennstäbe der AKWs durch so genannte MOX-Brennelemente. Aus diesen scheinbar zivilen Gründen, nicht ausschließlich für Waffenplutonium, wurden Wiederaufbereitungsanlagen gebaut (Marcoule 1958 und La Hague 1966 in Frankreich, West Valley 1966 in den USA und das nach einem schweren Unfall in Sellafield umbenannte Windscale 1969 in England) und - laut SPIEZ - langfristige Verträge zur Separation von Plutonium aus abgebrannten Brennelementen abgeschlossen. Weltweit wurden jedoch viel weniger AKWs gebaut als noch vor einigen Jahrzehnten angenommen wurde, und auch die leicht abbaubaren Uranvorkommen erwiesen sich als größer als erwartet. Unter diesen Umständen und nach zahlreichen schwerwiegenden Zwischenfällen und den enormen Kosten (für die Firmen wie Siemens staatliche Subventionen in Milliardenhöhe erhielten) war der „Schnelle Brüter“ nicht wirtschaftlich, weshalb in den USA und Westeuropa diese Technologie beendet wurde (in der BRD wurde der deutsch- belgisch - niederländische Schnelle Brüter KNK-II in Karlsruhe 1991 abgeschaltet, und Kalkar ging nie in Betrieb). Russland betreibt einen Brutreaktor in Belojarsk ohne Sicherheitsbehälter und baut dort einen weiteren, während China, Japan und Indien (Test)-Reaktoren betreiben und China auch einen weiteren plant.
Allerdings wurde trotz der Beendigung der Schnellen Brüter-Technologie in Deutschland seit über einem Jahrzehnt weiter Plutonium aus den Brennstäben separiert, da die langfristig angelegten Verträge zwischen den AKWs und sog. Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien eingehalten werden „mussten“. Auch werden MOX-Brennstäbe aus Frankreich und Großbritannien geliefert, da Siemens 1995 die zu 95% fertig gestellte MOX-Brennelementefabrik Hanau nach politischen Querelen im Genehmigungsverfahren aufgeben musste. Glücklicherweise verzögern aktuell die großen Proteste am AKW Grohnde die Transportgenehmigung zumindest für die aus Sellafield kommenden MOX-Brennstäbe.
Probleme bei der „sicheren Entsorgung“
Für die „Entsorgung“ des „militärischen“ Plutoniums muss in der öffentlichen Diskussion meist das Bedrohungsszenario: Sicherheitsproblem durch Zugriff von Terroristen... herhalten. Der Zugriff auf das Plutonium soll durch die Weiterverarbeitung in MOX-Brennstoffen „unzugänglich“ für den schnellen Bau einer Atombombe werden, da hierfür die technischen Rückgewinnungsverfahren sehr aufwändig sind. Plutonium ist zwar extrem radioaktiv, die Alphapartikel strahlen aber nur wenige Millimeter weit und schützen daher nicht ausreichend vor unberechtigtem Zugriff. Demgegenüber soll bei Inhalation bereits eine Menge von einigen Mikrogramm (1 Million Mikrogramm = 1 Gramm) zur sicheren Entstehung von Krebs ausreichen. So ist es gerade die Praxis der Verbreitung durch die Weiterverwendung von Plutonium in MOX-Brennelementen, die vor allem in und um die Anlagen Arbeiter_innen und Bevölkerung unsichtbaren, staatlich konzessionierten Angriffen auf die Gesundheit aussetzt. Beim Einsatz der MOX-Brennelemente in AKWs wären die Folgen eines schweren Unfalls noch mal wesentlich schlimmer, auch die radioaktiven Emissionen von Plutonium im Normalbetrieb sind für alle noch gefährlicher als es bereits bei „normalen“ Uran-Brennstäben der Fall ist. Die vielen Transporte und der Umgang an vielen Orten schaffen vielfältige Abzweigungsmöglichkeiten für Waffenzwecke.
Auch kommt das „zivile“ Plutonium zum Einsatz: Laut SPIEZ werden in Frankreich 65 bis 75% der abgebrannten Brennelemente wiederaufbereitet, und der größte Teil des Plutoniums wird in 20 Reaktoren in Form von MOX eingesetzt. Eine vom französischen Premierminister in Auftrag gegebene Studie zeige, dass die Plutoniummenge im Abfall der 58 französischen Druckwasserreaktoren durch vermoxen nur um ca. 15-17% reduziert wird.
Trotz der Gefahren wird die MOX-Methode weltweit bevorzugt: die G8-Länder unterstützen unter deutscher Beteiligung den Aufbau der MOX-Technologie auch in Russland und China. Sie erhoffen sich durch den Verkauf von AKWs weltweit, in denen diese MOX-Brennelemente eingesetzt werden sollen, riesige Profite.
Dabei hieße eine bessere Option „Immobilisierung“: Das Plutonium würde von anderen hochradioaktiven Stoffen umgeben oder gemischt und in keramisches Material eingebettet werden. So würden diese tödlichen gamma-strahlenden hochradioaktiven Stoffe den „unberechtigtem Zugriff“ auf das Plutonium enorm erschweren. Egal ob immobilisiert oder als MOX, das Problem geeignete Endlager zu finden, besteht weiter. Und auch bei der Immobilisierung geht es nur um teure Zwischenlagerungen, an denen die Atomindustrie aber weniger profitieren kann.
Interessen der europäischen Nuklearindustrie
Frankreichs Hersteller nukleartechnischer Anlagen Framatome entschied im Jahr 2000 mit Siemens, das Joint Venture Areva NP einzugehen, um bessere Chancen auf dem weltweiten Nuklearmarkt zu haben. Seit Jahren gab es kein Neubauprojekt auf dem Heimatmarkt. Mit einer großangelegten Werbekampagne verschafft sich Areva NP eine gute Position bei der Vergabe von AKW-Neubauprojekten in zirka 30 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, indem die Atomenergie als die Zukunft für die Rettung des Klimas angepriesen wird. Der Atomwaffensperrvertrag, der auch die zivile Atomnutzung fördern soll, bietet hierfür ein Forum. Aber auch die anderen Atommächte mischen fleißig mit, wie aus den folgenden Meldungen ersichtlich wird:
Belgische Unterstützung für chinesische Mox-Anlage (vom 12.10.2010)
Die China National Nuclear Corporation (CNNC) plant, mit belgischer Hilfe eine Pilotanlage zur Herstellung von Mox-Brennstoff zu errichten. Ein entsprechendes Rahmenabkommen ist am 6. Oktober 2010 unterzeichnet worden. Es legt die Bedingungen für den Bau einer Pilotanlage zur Herstellung von Uran-Plutonium-Mischoxid-Kernbrennstoff (Mox) in China und dessen Nutzung in chinesischen Kernkraftwerken fest. Laut Pressemitteilung kann die Vereinbarung „innerhalb relativ kurzer Zeit“ zu einem kommerziellen Abkommen einschließlich Technologietransfer und technischer Unterstützung von Seiten der belgischen Partner führen.
UK: Nuklearkomplex Sellafield wird modernisiert (vom 26.07.2010)
Im britischen Nuklearkomplex Sellafield soll in der Anlage zur Herstellung von Uran-Plutonium-Mischoxid-Brennelementen (Mox) – der Sellafield Mox Plant (SMP) – eine neue Fertigungslinie gebaut werden… Die französische Areva ist für die Auslegung, Lieferung und Installation der neuen Brennstab-Fertigungslinie für die SMP verpflichtet worden. Ein entsprechender Vertrag wurde am 1. Juli 2010 unterzeichnet... Ausschlaggebend für die Modernisierung der SMP ist ein bereits im Mai 2010 unterzeichneter Vertrag mit zehn japanischen Unternehmen, die ihren bestrahlten Brennstoff in Sellafield zu Mox verarbeiten lassen wollen.
Wiederaufarbeitungsvereinbarung zwischen den USA und Indien (vom 05.08.2010)
Die USA und Indien haben am 30. Juli 2010 ein Abkommen unterzeichnet, das es Indien erlauben wird, auftragsgebundenes amerikanisches Nuklearmaterial wiederaufzuarbeiten. Die dafür vorgesehene neue indische Wiederaufarbeitungsanlage unterliegt der Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO).
Japan setzt weiter auf Kernenergie (vom 29.03.2010)

"Schneller Brüter" soll wieder ans Netz gehen / Inbetriebnahme von Wiederaufbereitungsanlage für Herbst 2010 anvisiert
Japan will die Kernkraft als "sauberen" Energieträger weiter ausbauen. Herkömmliche Leichtwasserreaktoren stehen im Mittelpunkt; daneben sollen auch "schnelle Brüter" entwickelt werden. Ziel ist ein integrierter Brennstoffkreislauf, der auch eine Wiederaufbereitungsanlage umfasst. Mischoxid-Brennstäbe sollen in den kommenden Jahren in etwa einem Drittel der Reaktoren verwendet werden. Ungelöst ist die Endlagerung von radioaktivem Müll. Japans Elektroindustrie bemüht sich auch aktiv um ausländische Kernkraftprojekte. Japan sieht mit Genugtuung auf die "Renaissance" der Nukleartechnik, die gegenwärtig an zahlreichen Orten zu beobachten ist. Bis Rokkasho betriebsbereit ist, muss Japan ausländische Anlagen für die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe nutzen. Das MOX, das in Japan seit November 2009 erstmals auch in einem herkömmlichen Leichtwasserreaktor (Genkai-3 in Kyushu) zum Einsatz kommt, wurde in Frankreich hergestellt... Die internationale Konkurrenz ist stark, sodass Hitachi-GE einem südkoreanischen Konsortium im Wettbewerb um den Zuschlag für ein Kernkraftwerk in Abu Dhabi unterlag. Als ein Grund wird die starke Rivalität in Japans Nuklearwirtschaft unter anderem zwischen Toshiba, Hitachi und Mitsubishi Heavy Industries genannt, weshalb ein staatliches Gemeinschaftsunternehmen gegründet werden soll.
Marion Küpker ist die Internationale Koordinatorin der DFG-VK für Atom- und Uranwaffen
Erstveröffentlichung in der ZivilCourage der DFG-VK im April 2011