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Kristin Jankowski, Cairo
"Hätte sich bei der sogenannten Revolution was geändert, dann wäre Maikel nicht im Gefängnis"
On-line gesetzt am 7. Juni 2011
zuletzt geändert am 3. Mai 2011

"Ich vermisse Maikel sehr", sagt Sahar Maher. Sie senkt ihren Blick. Und schweigt. Vor einigen Tagen durfte sie zum ersten Mal Maikel Nabil Sanad im Gefängnis in der Nähe von Kairo besuchen. Am 11. April 2011 wurde er vor einem aegyptischen Militärgericht zu einer Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt.

In einem Artikel (http://www.maikelnabil.com/2011/03/army-and-people-wasnt-ever-one-hand.html) auf seinem Blog schrieb der 25-jährige ueber das brutale Vorgehen der Armee gegen friedliche Demonstranten während des Aufstandes in Ägypten. Er berichtete von willkürlichen Festnahmen und Folter. In dem Artikel habe er angeblich das Militär beleidigt - deshalb sitzt er nun hinter Gittern. "Ich habe Angst um Maikel", gibt Sahar zu. Sie kennt ihn bereits seit 1,5 Jahren. Sahar sitzt auf dem Dach eines kleinen Hotels in Kairo Downtown. Die Mittagssonne ist stark, auf den Strassen sind hupende Autos zu hören.

"Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich von seiner Festnahme erfuhr. Ich war Zuhause und band mir die Schuhe zu. Ich hatte eine Verabredung mit einem Freund. Wir wollten Frühstuecken gehen. Mein Telefon klingelte. Ein Freund sagte mir, dass Maikel am Morgen des 29. März von der Militärpolizei von seiner Wohnung abgeholt wurde." Sahar greift nach dem Verschluss der Wasserflasche. Und wirft ihn nervös von einer Hand in die andere. "Zuerst dachte ich, es sei ein Witz. Aber es war keiner. Unser Freund wurde tatsächlich festgenommen. Ich erinnere mich, dass ich alle Sachen von mir schmiss, mich auf das Sofa setzte und geweint habe. Ich hatte das Gefuehl, als ob mir jemand die Hände gebunden hatte. Ich fuehlte mich hilflos."

Sahar trägt ein rotes T-Shirt, eine grosse braune Kette hat sie sich um den Hals gelegt, sie hat Sommersprossen auf der Nase. Ihre kurzen Locken fallen ihr ins Gesicht. "Wir sind doch alle friedliche Menschen. Wir haben ein Gewissen und Moral. Warum werden wir von Leuten regiert, die das nicht haben ?" fragt sie. " Hätte sich nach der sogenannten Revolution in Ägypten wirklich etwas geändert, dann wäre Maikel jetzt nicht im Gefängnis", so die 21-jährige.

Sahar trinkt einen Schluck Kaffee. Sie wirkt nachdenklich. "Ich hatte starke Befürchtungen, dass ich ihn nicht besuchen kann. Aber ich wollte Maikel unbedingt sehen. Es war am Dienstag, ich duschte, ich hatte mich mit einem Freund verabredet. Wir wollten zu dem Gefängnis Al Marg fahren - dort wo Maikel eingesperrt ist. Ich hatte keinen Appetit. Ich zog mir mein schönstes T-Shirt an. Ich wollte Maikel etwas Farbe in das Gefängnis bringen." Fuer einige Sekunden ringt sie mit den Worten.

"Wir sind rund eine Stunde mit dem Auto gefahren, ich war sehr nervös. Als wir vor dem Gefängnis parkten, klopfte mein Herz stark. Ich hatte Angst, dass ich ihn verwundet sehe. Das hätte ich nicht ertragen."

Sahar erzählt von dem langen Kanal, der an dem Gefängnis entlang führt. Von den grossen Bäumen. Von dem Dreck. Von der starken Sonne.

"Am Eingangstor wurden wir nach unseren Ausweisen gefragt, es gab eine Cafeteria und Toiletten fuer die Besucher. Eine Frau mit einem dunklen Kopftuch trug unsere Namen in ein Notizbuch ein. Ich fragte mich, warum diese Frau dort arbeitet. Schliesslich ist es ein Gefängnis fuer Männer."

Sahar beugt sich nach vorne. "Und dann wurde uns die Tür geoffnet. Ich wurde untersucht, dann trat ich in den Besucherraum ein. Es war laut, die Decken waren hoch, die Wände waren weiss gestrichen, es war dreckig. In den Ecken lag Müll. Leere Chipstüten, Zigaretten. Ein Gefängnismitarbeiter fragte uns, auf wen wir warten würden. Ich sagte ihm, dass wir Maikel Nabil Sanad sehen wollen. Er wollte wissen, ob Maikel aufgrund von Mord oder Diebstahl gefangen sei. Ich antworte ihm, dass Maikel ein politischer Gefangener sei. Und er sagte mir, dass es in dem Gefängnis keine politischen Gefangenen gäbe. Ich erzählte ihm, dass Maikel vor einem Militärtribunal stand. Er nickte und verschwand."

Sahar steigen Traenen in die Augen. Sie versucht zu laecheln: "Und dann tauchte Maikel auf einmal auf. Seine Haare waren kurz, er trug die dunkelblaue Gefaegniskleidung. " Sahar greift wieder zu dem Verschluss der Wasserflaschen und laesst ihn zwischen ihren Fingern hin und her fallen. Sie kaempft mit den Traenen. "Ich habe Maikel sofort in den Arm genommen. Und dann habe ich geweint."

Sie schaut in den Himmel. Und schweigt.

"Maikel erzählte mir, dass er in eine neue Zelle gebracht wurde. Es gibt dort kein Tageslicht. Die Zelle hat ein kleines Fenster, aber da kommt auch keine frische Luft durch. Er hat keine Toilette - nur einen Mülleimer, kein Bett, keine Decke. Er muss sich die Zelle mit zwei Männern teilen, die jeweils für 15 Jahre im Gefaengnis bleiben müssen. Maikel darf die Zelle nicht verlassen." Sahar atmet tief ein: " Er isst Bohnen, Linsen und Brot."

Sie lacht kurz auf. "Maikel ist stark, sehr stark. Er hat mich gebeten, auf seinen jüngeren Bruder aufzupassen. Er sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen."

Sahar schaut kurz auf den Boden. Plötzlich hat sie einen sehr ernsten Ausdruck im Gesicht: "Maikel hat Probleme mit dem Herzen. Er erzählte mir, dass es ihm nicht gestattet war einen Arzt zu sehen. Maikel braucht medizinische Hilfe. Sonst stirbt er."

Sie wirft den Verschluss der Wasserflasche auf den Tisch: "Die Autoritäten wollen, dass wir leise sind. Aber das sind wir nicht. Niemals."

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Eine deutsche Uebersetzung von Maikel Nabil Sanad’s blog post findet sich unter

http://wri-irg.org/de/node/12815