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Wolfgang Hertle
Stärke durch Vielfalt - Einheit durch Klarheit
Rückblick auf Zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand in Deutschland und Frankreich seit den 1970er Jahren
On-line gesetzt am 30. Januar 2011
zuletzt geändert am 20. Februar 2015

Bei der Suche nach Bündnispartnern für gewaltfreie Kampagnen wird oft über unterschiedliche, weltanschauliche Vorstellungen und Verständnisse von Gewalt und Gewaltfreiheit gestritten.
Der erfolgreiche Widerstand (1971-1981),der 103 Bauernfamilien auf dem südfranzösischen Larzac-Plateau gegen die Ausweitung eines Truppenübungsplatzes der für viele Basisbewegungen zum Phantasie anregenden Vorbild geworden ist, zeigte eine andere Möglichkeit als endlose Theoriedebatten. Denn nicht alle, die in der Frankreich-weiten Unterstützerbewegung für ein ziviles Larzac aktiv waren, hatten sich von vorneherein und prinzipiell auf Gewaltfreiheit festgelegt. Das heterogene Bündnis hielt sich trotzdem, weil sich die von den betroffenen Bauern gefundene Grundlinie als erfolgreich erwies, d.h. die davon bestimmte gemeinsame Praxis in der Öffentlichkeit Sympathien für die Argumente des Widerstands erwarb und deshalb die Bewegung als moralischen Sieger wirken ließ.

Bei Bündnisgesprächen für geplante Aktionen sollten daher statt Prinzipienstreit möglichst verbindliche Verhaltensregeln verabredet werden. Denn die Akzeptanz des Protestes in der Bevölkerung hängt stark vom einheitlichen Auftreten und eindeutigen Verhalten ab.

Verteidiger der herrschenden Un-Ordnung tendieren dazu, Protestformen als gewaltsam zu diskriminieren, sobald die geltenden legalen Regeln überschritten werden. Obwohl jede Gesetzgebung und deren Auslegung von politischen Machtverhältnissen abhängt, gelingt es den Mächtigen, großen Teilen der Bevölkerung die bestehenden Verhältnisse als normal und damit legitim zu vermitteln. Gesellschaftskritiker, die zur notwendigen Veränderung Gegen-Gewalt nicht ausschließen oder sogar als gerechtfertigt ansehen, vermuten hinter der Position der Gewaltfreiheit die Blindheit von Liberalen gegenüber den Gewalt enthaltenden Verhältnissen, oder gar eine raffinierte Form der Integration von Widerspruch und Protest in das bestehende Herrschaftssystem.

Die Diffamierung radikal gesellschaftskritischer Ideen wie die Bemühungen, Zivilen Ungehorsam zu kriminalisieren, halten viele Menschen von einer Praxis ab, welche die selbstbewusste Darstellung der Dissenshaltung auch gegenüber ihrer Alltagsumwelt fordert und juristische Konsequenzen mit sich bringen kann. Die Rhetorik mancher Pazifisten, der keine entschiedene Tat folgt, macht diese Haltung in den Augen konsequenter Protestierer unglaubwürdig. Manche Demonstrantengruppen sehen Zivilen Ungehorsam als schwächlich an, sie lehnen es ab, sich der Strafverfolgung zu stellen, ziehen es eher vor, aus verdeckter Position Schläge auszuteilen. Ziviler Ungehorsam, der ein passives Gewaltlosigkeits-Verständnis hinter sich lässt, kann also sowohl von Verteidigern als auch von radikalen Kritikern der bestehenden Verhältnisse missverstanden und – wenn auch aus entgegen gesetzten Motiven – abgelehnt werden.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass gewaltsame Auseinandersetzungen von Demonstranten mit der Polizei fatale Wirkungen auf die Öffentlichkeit haben, egal ob sie entstehen, weil sich die Gegenseiten magnetisch anziehen oder ob gezielt Provokation eingesetzt wird: Durch einen spektakulären Schlagabtausch wird die Gewalt zum ausschließlichen Thema. Das ursächliche Anliegen wird dadurch verdeckt. Beide Kampfparteien sehen das Unrecht nur auf der jeweiligen Gegenseite und rechtfertigen damit ihre eigenen Handlungen. Damit ver- oder behindern beide Seiten den Bewusstseins- und Lernprozess der Mehrheit der Betroffenen, die eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Wechselseitig liefern sie sich den Vorwand und die Rechtfertigung zu mehr Gewaltanwendung. Gewalt macht blind, ihr autoritärer Charakter steht in Gegensatz zum angestrebten Ziel der gesellschaftlichen Selbstbestimmung.

Von Larzac, Wyhl, Gorleben und Heiligendamm bis zum Debakel in Straßburg

Die Außerparlamentarische Opposition in der BRD der Jahre 1967-1969 zerfiel nach 1970 in sehr unterschiedliche Strömungen und es bildete sich insbesondere die breite Bürgerinitiativenbewegung. Am linken Rand der Gesellschaft entstanden Splittergruppen und Kommandos bewaffneten Widerstandes. Daneben gab es zwei Gruppierungen, die aus unterschiedlichen Motiven Gewalt ablehnten. Es war dies einerseits die legalistische Linke, darunter auch die vor dem Hintergrund des KPD-Verbots der 1950er Jahre um ein bürgerliches Image bemühte Kommunistische Partei. Andererseits gab es eine Reihe von gewaltfreien Aktionsgruppen, die bereit waren unter gewissen Umständen mit Zivilem Ungehorsam Gesetzesgrenzen zu übertreten.

In den sozialen Bewegungen blieb die Frage der Gewalt umstritten. Einige populäre Bewegungen – wie die für die Verteidigung eines zivilen Larzac oder die gegen die Errichtung eines Atommeilers in Wyhl – hatten in den 1970er Jahren Erfolg, weil sich breite Bevölkerungsinitiativen mit den Grundgedanken der aktiven Gewaltfreiheit identifizierten und direkte Aktionen durchführten. Dies trifft auch für die noch viel breitere Bewegung gegen die Atom-Raketenstationierung in den 1980er Jahren zu, die zwar nicht unmittelbarer Auslöser für die Demontage der Raketen ab 1988 war, aber doch einen wichtigen Kontext dafür darstellte und die mit Abstand größten Protestaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hervorbrachte.

Parallel dazu begann in den 1980er Jahren die neu gegründete Partei der Grünen viele außerparlamentarische Kräfte zu absorbieren. Etliche Aktivisten schufen sich in konstruktiven Alternativen und Lobby-Organisationen von Spenden finanzierte oder von staatlichen Fördergeldern abhängige Arbeitsplätze. Die zunehmende Institutionalisierung des Protestmilieus half, das Gedankengut der meist kurzlebigen Basisinitiativen im Bewusstsein einer breiteren Bevölkerung zu verankern; andererseits fand durch Parteipolitik und staatliche Subventionen eine schleichende Integration der Opposition statt. Gewaltbereite Strömungen wie Maoisten oder Autonome boten dazu keine Alternative.

Aus dieser Erfahrung entwickelte sich die Einsicht gewaltfreier Gruppen, sich eigenständig organisieren zu müssen. Es galt, Aktions- und Organisationsformen zu entwickeln, die es zunehmend mehr Menschen ermöglichen, sich zu beteiligen. Für Gruppen, die Gewalt einplanen oder nicht ausschließen, ist es vorteilhaft, ihre Aktionen im Schutze größerer Demonstrationen zu lancieren. Die darauf folgende staatliche Repression trifft dann auch viele Menschen um sie herum, die für sich selbst solche Aktionen ausschließen würden. Gewaltfreie Aktionen sind indessen unmöglich, wenn z.B. in unmittelbarer Nähe Steine geworfen werden. Die Kampagne „X-tausendmal quer“ gegen die Atommüll-Transporte entstand aus dieser Einsicht. Nach chaotischen und für Viele unbefriedigenden Aktionen in Gorleben 1995 und 1996 war die Konsequenz gewaltfreier Atomkraftgegner nicht, Gewalt anwendende Gruppen zu denunzieren, sondern bewusst auf räumlichen Abstand zu ihnen zu gehen. Der massenhafte Zuspruch zur gewaltfreien Straßenblockade 1997 vor dem Castor-Verladekran in Dannenberg bewies das große Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Die Protestbereiten in der Bevölkerung wollten wissen, wie die Mit-Demonstranten zu handeln planten. In einem gut organisierten Zeltlager fanden öffentliche Trainings in gewaltfreier Aktion und die Bildung von Bezugsgruppen statt. Solche Camps in der Nähe des Aktionsortes sind wichtig, um die Mitstreiter aus anderen Orten kennenzulernen und sich gemeinsam auf die Aktion vorzubereiten.

Die Kampagne „X-tausendmal quer“ nutzte die Erfahrungen der gewaltfreien Blockaden gegen die Raketenstationierung der 1980er Jahre und zog kritische Teile der Ökologie- und Friedensorganisationen an. Besonders Jugendliche fühlten sich bei Sommercamps und selbstorganisierten Kongressen freier als in den Verbänden der Erwachsenen. Die lebendige Basisdemokratie in Bezugsgruppen und das Konsensprinzip entsprach ihrem Politikverständnis. So verbreiteten sich das Gedankengut und die Aktionspraxis der gewaltfreien Aktionsgruppen auf größere Kreise und fanden Anwendung in neuen Themenfeldern wie z.B. Genmanipulation von Nahrungsmitteln, zunehmende Militarisierung sowie die profitorientierte Globalisierung. Zur gegenseitigen Stärkung dieser verschiedenen Kampagnen wurde u. a. das lockere Netzwerk ZUGABE (Ziviler Ungehorsam – Gewaltfreie Aktion–Bewegung) und die „Bewegungsstiftung“ gegründet.

Im Laufe der Jahre näherten sich Teile der autonomen und der gewaltfreien Bewegung einander an. Vor dem G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 kam es zu pragmatischen Vereinbarungen für die Blockade-Aktionen, das heißt: selbst keine Gewalt anzuwenden, aber auch den Begriff „gewaltfrei“ zu vermeiden. Nachdem es bei der Eröffnungskundgebung der Protestwoche am 2. Juni 2007 beim Stadthafen von Rostock dennoch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem „Schwarzen Block“ und der Polizei kam, sahen es alle Beteiligten als Erfolg an, dass in den Folgetagen trotz Polizeiketten sämtliche Zufahrten zum Gipfel-Treffen mit „weichen“, aber wirksamen Techniken massenhaft blockiert wurden. Manche ehemalige Straßenkämpfer bezeichneten sich selbst als Post-Autonome, was gewaltfreie Aktivisten hoffen ließ, dass sich der Prozess in Richtung prinzipieller Gewaltfreiheit weiterentwickeln würde.

Die Vorbereitungen auf die Blockade des G8-Gipfels in Heiligendamm dauerten ca. 18 Monate. Die pragmatische und insgesamt wirksame Einigung zwischen Gewalt ablehnenden Gruppen und dem Konzept der Gewaltfreiheit skeptisch gegenüberstehenden Strömungen ist erstaunlich und ermutigend. Die Protestaktionen in Straßburg im April 2009 anlässlich des NATO-Gipfels und des 60-jährigen Bestehens des westlichen Militärbündnisses zeigten jedoch, dass nicht vorschnell von einem Schauplatz auf den nächsten geschlossen werden darf, da die Situationen und politischen Bedingungen sehr unterschiedlich sein können.

Der Protest gegen den NATO-Gipfel in Straßburg 2009

In Straßburg agierten sehr verschiedene Kräfte in der Auseinandersetzung mit einer Regierung, welche die örtlichen Behörden zu einer rigiden Linie zwang: Keine Demonstration in der Straßburger Innenstadt!
Idealerweise laden ortsansässige Gruppen zu gemeinsamen Aktionen ein. Wenn sich in der Vorbereitung die Kenntnis der lokalen Verhältnisse mit den Erfahrungen von Demonstranten aus anderen Konflikten verbinden, können Aussage und Form der Aktion gegenüber der regionalen Öffentlichkeit am ehesten vermittelt werden. Eine schwache Basis vor Ort ist von außen kaum ersetzen. Die NATO ist aber auch kein rein lokales Problem, daher war es legitim und notwendig, dass in Straßburg Menschen aus vielen Ländern gegen den NATO-Gipfel protestierten.

Im „International Coordinating Comitee No-to-Nato 2009“ (ICC) gab es Befürchtungen, Aktionen Zivilen Ungehorsams könnten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen und die Großdemonstration gefährden. Deshalb organisierte das ICC keine Blockaden. Erst im Februar wurde eigens für Aktionen Zivilen Ungehorsams in Straßburg das lose Bündnis „Block-NATO“ gegründet. Es bestand u. a. aus den deutschen Gruppierungen Interventionistische Linke, Avanti und Solid, den französischen „désobéíssants“ („Die Ungehorsamen“) und dem internationalen gewaltfreien NATO-ZU Bündnis, dem Gruppen der War Resisters` International (WRI) aus Belgien, England, Spanien sowie deutsche gewaltfreie Gruppen angehörten. Französische gewaltfreie Organisationen wie „Mouvement International de la Reconciliation“ (MIR), „Union Pacifiste de France“ (UPF) oder „Mouvement pour une Alternative Nonviolente“ (MAN) mobilisierten nicht für die Blockaden in Straßburg, auch nicht deren Gruppen aus dem Elsass. Sie haben diese Enthaltung aber nicht öffentlich begründet. Auch in den gewaltfreien Gruppen in Deutschland gab es Skepsis, weil im Vorfeld aus Frankreich fast nur von der harten Polizei-Linie und von der drohenden Gewalt von „Autonomen“ zu hören war.

Sprachprobleme behinderten zudem die Zusammenarbeit zwischen Gruppen beidseits des Rheins. Englisch als Brückensprache ist nicht ausreichend. Zum sprachlichen kam das Problem unterschiedlicher politischer Kulturen hinzu. So wird z. B. in Frankreich der Begriff Blockade (im Deutschen mit der Konnotation „gewaltfreier Sitzstreik“) oft als Barrikade (und gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei) verstanden. Umgekehrt sind „‚Militante“ im Französischen „politisch aktive Menschen“, im Deutschen: politisch argumentierende Gewalttäter …

Manche meinten, es gebe in Frankreich keine mit deutschen Kampagnen vergleichbare Tradition Zivilen Ungehorsams. Die kollektive Erinnerung an die populären Beispiele gewaltfreien Widerstandes wie auf dem Larzac, bei LIP (einer Uhrenfabrik in Besançon, die Mitte der 1970er Jahre von den Arbeitern besetzt und in eigener Regie weitergeführt wurde), sowie in Marckolsheim/Elsass (wo der Bau eines Bleichemiewerkes von der Bevölkerung verhindert wurde), ist offensichtlich verblasst. In den 70er Jahren fuhren viele Mitglieder bundesdeutscher gewaltfreier Aktionsgruppen nach Frankreich, um von den ökologischen, antimilitaristischen und gewaltfreien Bewegungen Geist und Praxis Zivilen Ungehorsams zu lernen.

Bis zum Schluss gab es im Mai 2009 keine Einigung mit den Behörden in Straßburg über die Demonstrationsroute, sondern lediglich über den Startpunkt. Die Behörden wollten auf keinen Fall dass die Marschsäule das Stadtzentrum berührte, während es für die Organisatoren unannehmbar war, sich nur im Hafen- und Industriegebiet bewegen zu dürfen.

Erst eine Woche vor Beginn des NATO-Gipfels kam es zu Vereinbarungen über ein Camp. Zeltlager sind sinnvoll für eine selbstorganisierte Vorbereitung von Aktionen, aber sie können auch missbraucht und zweckentfremdet werden. “Block NATO“ bezog mit vielen anderen Gruppierungen das „village“ am Straßburger Stadtrand. Nicht vorausgesehen wurde das Ausmaß an Konflikten zwischen der Polizei und einigen Menschen aus dem Camp. Gewaltfreie Demonstranten mussten wiederholt gegen „kämpferische“ Selbst-Inszenierungen durch provozierende Gruppen intervenieren, um die Räumung des Camps zu vermeiden.

Am Abschlusstag kam es auf der französischen Seite der Europabrücke zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Folge, dass die zehntausend auf der deutschen Rheinseite in Kehl von der Polizei aufgehaltenen Demonstranten nicht an ihr Ziel kamen und die Kundgebung im Straßburger Hafenviertel im Chaos endete. Letztlich war nicht eindeutig zu erkennen, wer mit in welcher Absicht Chaos und Gewalt organisierte. Leider gingen auch die trotz starker Polizeipräsenz durchgeführten gewaltfreien Straßenblockaden in der Innenstadt in den Meldungen von Brand und Zerstörung weitgehend unter.

Bedingungen und Schritte gesellschaftlicher Veränderung

Politisch kommt es m. E .darauf an, möglichst vielen Menschen kritische Inhalte näherzubringen und sie zu ermuntern, sich zu wehren. Radikalität besteht nicht darin, unter Gleichgesinnten Bekenntnisse zur Notwendigkeit von Revolution auszutauschen. Der Wandel der Gesellschaft kann nicht ohne Änderungen im Bewusstsein der „Normalbürger“ und ohne ihre Mitwirkung erfolgen. Wenn sich basisdemokratische Bewegungen von „Schwarzen Blocks“ durch den Vorwurf der Spaltung in eine falsch verstandene Solidarität zwingen lassen, schaden sie ihrer eigenen Sache, weil die Öffentlichkeit für ein solches Verhalten kein Verständnis aufbringt. Für die Anwohner im Straßburger Hafenviertel waren die Auseinandersetzungen vor ihrer Haustür unverständlich, sie bekamen keine Erklärung für das Geschehen, außer, dass die jeweilige Gegenseite angegriffen habe und dass Verteidigung legitim sei. Neben einem ausgedienten Zollgebäude wurde ein großes Hotelgebäude sowie die einzige Apotheke des Viertels in Brand gesteckt. Zwischen den Fronten Stehende mussten fürchten, von Steinen oder Tränengas getroffen zu werden, die jederzeit von allen Seiten kommen konnten. Das ist eine Form von Terror, d.h. die Verbreitung allgemeiner Angst mit der Folge politischer Apathie oder dem Ruf nach dem starken Staat, der für Sicherheit, Ruhe und Ordnung sorgen soll.

Sinnvoll ist es dagegen, verstärkt mit Mitgliedern der Friedens- und Anti-Kriegs-Organisationen des „mainstream“ zu diskutieren, also mit bereits prinzipiell Motivierten, und sie zu schärferen Analysen und konsequenterem Handeln zu bewegen. Mit ihnen zusammen ist die Aufgabe leichter, politisch noch nicht aktive MitbürgerInnen anzusprechen.

Welche Zielgruppen sind für wirksame Gesellschaftsveränderungen wichtiger? In erster Linie Menschen, die das bestehende politische und wirtschaftliche System radikal ablehnen? Oder die Mehrheit der von diesem System Betroffenen, die dieser Kritik, wenn auch nur in Teilen, zustimmen? Zweifellos ist es anstrengender, sich mit Menschen mit konventioneller bis konservativer Grundeinstellung auseinanderzusetzen als mit weitgehend Gleichgesinnten. Eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft, insbesondere eine gewaltfreie, erfordert geduldige Überzeugungsarbeit. Die gewaltfreie Bewegung wendet sich auch und gerade an Menschen, die für die bestehende Gesellschaft typisch sind, an die Vielen, die unter den Verhältnissen leiden, denen aber (noch) nicht bewusst sind, wie ihr Leid zustande kommt, wer davon profitiert und vor allem, dass ihr eigenes Verhalten (mitmachen statt widerstehen) dazu beiträgt, dieses gewalthaltige System aufrecht zu erhalten.

Zwei in letzter Zeit erfolgreiche Bewegungen in Deutschland, nämlich die gegen genmanipulierte Nahrungsmittel und die gegen Bombenabwurfsplätze, illustrieren, dass auch relativ konservative Bevölkerungsschichten von gewaltfreien Gruppen so angesprochen werden können, dass ihre Parlamentarier sich schließlich den Forderungen ihrer Wähler anschließen müssen. Solche Prozesse verändern die Gesellschaft nicht von Grund auf, aber die Beteiligten lernen, dass die Verhältnisse veränderbar sind.

Es geht darum, Impulse zu geben, die es Menschen ermöglichen, ihre Einstellungen und Haltungen zu verändern. So sind nach Umfragen zu urteilen etwa 64 % der deutschen Bevölkerung dafür, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen wird. Auf der Straße fordert das bisher nur eine kleine Minderheit, von der ein größerer Teil aus politisch unbedeutenden politischen Gruppen stammt. Auch Demonstrationen und mehrtägige Märsche bieten Lernchancen, mögen sie auch für Aktivisten, die mehr Druck erzeugen wollen, langweilig sein. Für viele Menschen sind das erste Schritte, auf die radikalere Aktionsformen folgen können. Deshalb ist es nötig, Organisationsformen zu entwickeln, die ein Gegengewicht zur Anonymität in der Masse bilden und ein Klima der Gewaltfreiheit begünstigen.

Direkte Aktion und Ziviler Ungehorsam sind unmittelbarer Ausdruck empörter Betroffener, sich gegen Unrecht zu wehren. Sie setzen damit in ihrem Wohn- und Arbeitsalltag allgemein verständliche Zeichen des Protestes. Das ist so ziemlich das Gegenteil zu den Ereignissen an der Europabrücke in Straßburg, wo selbstherrlich handelnde Vermummte und agents provocateurs sich ein Scheingefecht gegen die bewaffnete Staatsmacht lieferten, was vor allem dazu führte, dass die wohlbegründete Ablehnung der NATO Zehntausender Demonstranten im Qualm brennender Häuser und in Wolken von Tränengas verschwand.
Vorbereitung auf Aktionen Zivilen Ungehorsams und Selbst-Verpflichtung auf gewaltfreies Verhalten

Eine politische Konsequenz aus den Ereignissen in Straßburg ist es m. E., in Zukunft Aktionen Zivilen Ungehorsams in eigenen Camps an getrennten Orten zu organisieren und von den TeilnehmerInnen die eindeutige Bejahung der Grundsätze zu fordern, die gewaltfreie Aktionen erst ermöglichen.

Vorrangig sollte die Bündnisarbeit innerhalb des politischen Spektrums von Organisationen verstärkt werden, die sich für direkte gewaltfreie Aktion und Zivilen Ungehorsam aussprechen. Die bewusste Zusammenarbeit von Kampagnen wie „X-tausendmal quer“, „Gewaltfrei Atomwaffen abschaffen“, „Gendreck weg“ usw. unter dem Dach von ZUGABE ist ein wichtiger Schritt. Die bundesweit agierenden Kampagnen sollten durch lokale und regionale "Querstreben" verstärkt werden: Zur Vorbereitung einer größeren Aktionen wie z.B. in Gorleben organisieren dann alle interessierten Gruppen an ihrem Wohnort gemeinsame Treffen zur Information über die geplanten Großaktion Zivilen Ungehorsams, um evt. gemeinsam Aktionstrainings oder die Anreise zum Ort der Aktion vorzubereiten. Auch wer nicht an der zentralen Großaktion teilnehmen kann, findet hier Menschen, die bereit sind, durch begleitende Unterstützungsaktionen an ihrem Heimatort mitzuwirken.

Die in über 50 Städten dezentral organisierten Larzac- Komitees oder die Gorleben-Freundeskreise nach dem Motto "Larzac (bzw. Gorleben) ist überall!" können hier Vorbild sein. Sie führten damals zu weiteren Synergie-Effekten, die die überregionale Zusammenarbeit auf lokaler Ebene verstärkten und ergänzten. Die örtliche Nähe hat den Vorteil, dass mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Alters sich bereits im Vorfeld begegnen und austauschen können. Auch Nicht-Organisierte können sich Arbeits- und Bezugsgruppen anschließen, die dann nicht erst in letzter Minute am Aktionsort gebildet werden müssen. Damit wird auch die Auswertung nach der Aktion erleichtert und die Möglichkeit der Fortführung über den kurzfristigen Anlass hinaus – wenn das Kennenlernen in der Aktion Lust an gemeinsamer Weiterarbeit geweckt hat.

Besonders wichtig finde ich, die gewaltfreie Position klar und unmissverständlich darzustellen. Die gewaltfreie Bewegung muss sich kontinuierlich bemühen, diese Haltung über die eigenen Kreise hinaus zu verbreiten und sie gleichzeitig zu vertiefen.

Offenes Visier: Wir haben nichts zu verbergen, wollen weder Konspiration noch Vermummung. Wir stehen zu unseren Aktionen, wir möchten überzeugen und werden uns notfalls mit unserer ganzen Person gegen die organisierte Gewalt stellen.

Ohne Illusion: Die Staatsmacht ist vom Gewaltpotential aus betrachtet eindeutig stärker als jede Protestbewegung. Unser Ziel kann nur sein, die Gegenseite mit moralischen Mitteln zu "entwaffnen". Ziviler Ungehorsam ist herausfordernd, provoziert und dramatisiert latente Konflikte, stellt Gewalt beinhaltende Teile des herrschenden und von der Legalität meist gedeckten Gefüges in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Es dauerte in der Geschichte lange und kostete große Opfer der Betroffenen, bis legitime Anliegen wie Abschaffung der Sklaverei, Frauenwahlrecht, Streikrecht oder Kriegsdienstverweigerung allgemein anerkannt und legalisiert wurden. Je mehr Elemente des Gesellschaftssystems infrage gestellt werden, umso differenzierter muss auch unser Bemühen werden, in jedem einzelnen Bereich das Unrecht aufzuzeigen und alternative Regeln des Zusammenlebens zu finden – auf dem Weg zu einer immer gewaltärmeren und zugleich geistig reicheren (Welt-) Gesellschaft.

Die gewaltfreie Gesellschaftsveränderung, für die wir eintreten, begreift die vielfältigen, Gewalt mit sich bringenden Probleme der Gesellschaft als komplex zusammenhängende Teile eines Gesamtsystems und nicht als zufällige Schönheitsfehler. Kriegsgefahr ist z.B. nicht allein durch Abschaffung der Wehrpflicht zu bannen. Es ist notwendig, punktgenaue Kampagnen zu organisieren, aber gleichzeitig die Zusammenhänge mit anderen Konflikten zu sehen und die gegenseitige Unterstützung der Kampagnen und Bewegungen zu fördern.

Zusammenfassend: Es wird keine gewaltfreie Gesellschaft ohne Gerechtigkeit und Basisdemokratie geben, das heißt: Gewaltfreiheit als Ziel verlangt Abbau aller gewaltförmigen Herrschaftsmittel und Strukturen auch auf dem Weg dorthin. Sie richtet sich zwangsläufig gegen wesentliche Elemente des Staates wie Militär, Rüstungsproduktion und auch Polizei, sofern sie einseitig zum Schutz der Privilegien von wenigen eingesetzt wird. Dem Staat darf nicht der Vorwand geliefert werden, die Repression zu verstärken, weil er stets vom Schlimmsten ausgehen "muss", um sich dagegen zu schützen. Wenn der Öffentlichkeit klar ist, dass wir uns gegen massive gesellschaftliche oder industrielle Gewalt wenden und dabei bewusst keine Gegengewalt ausüben, haben wir die besseren Chancen, zu überzeugen und viele Menschen zu Widerstand (oder zum Verständnis und zur Sympathie für den Widerstand Anderer) zu bewegen. Dann können Situationen herbeigeführt werden, in denen auch der stärkste Staat einsehen muss, dass bestimmte Ziele politisch nicht durchsetzbar sind. Gewaltfreie Aktionen und Kampagnen sollten zugleich Lernfelder für weitergehende Gesellschaftsveränderung sein. Gewaltfreie Aktionsgruppen sollten sich ernsthaft um Austausch und Gesprächskontakt mit den "Einheimischen" bemühen, auch wenn dies anstrengender ist, als im Kreis Gleichgesinnter und Gleichaltriger aus den vertrauten Milieus zu bleiben.