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Nach der Wahl in Ungarn
Die neue Ära der Völkischen
On-line gesetzt am 19. Mai 2010
zuletzt geändert am 28. April 2010

Berliner Regierungsberater rechnen nach dem Sieg der völkischen Fidesz-Partei bei den ungarischen Parlamentswahlen mit zunehmenden Spannungen in Osteuropa. Sollte der zukünftige Ministerpräsident Ungarns, Viktor Orbán, seine Pläne realisieren und etwa die Staatsbürgerschaft seines Landes an ungarischsprachige Bürger der Nachbarstaaten verleihen, werde sich das Verhältnis unter anderem zwischen Ungarn und der Slowakei weiter verschlechtern, warnt ein Osteuropa-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zudem habe die rechtsextreme Partei Jobbik, die mit einem Sechstel der Stimmen die drittstärkste Fraktion im Budapester Parlament stellen wird, das Potenzial, sich "langfristig als politische Kraft" zu etablieren.

Der erdrutschartige Wahlsieg der völkischen Rechten ist ein Ergebnis des Erstarkens völkischer Politik, wie sie in der gesamten Europäischen Union vor allem von Deutschland forciert wird. Völkische Organisationen in Ungarn und unter den ungarischsprachigen Minderheiten in den angrenzenden Staaten werden bereits seit Jahren von Deutschland aus unterstützt; revisionistische Forderungen Budapests begleiten ähnliche Offensiven Berlins. Der deutsche Außenminister nennt das Verhältnis der Bundesrepublik zu Ungarn, das zum 1. Januar 2011 die Ratspräsidentschaft der EU übernehmen wird, "vorzüglich".

Zwei Drittel

Mit erheblicher Sorge wird weltweit der überwältigende Wahlsieg der völkischen Rechten am vergangenen Sonntag in Ungarn kommentiert. Die völkische Partei Fidesz des ehemaligen und künftigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán erreichte mit 52,8 Prozent auf Anhieb die absolute Mehrheit und kann bei der Stichwahl in zwei Wochen sogar die Zweidrittelmehrheit erreichen; damit besäße sie alleine die Macht, die Verfassung zu ändern. Die rechtsextreme Partei Jobbik, deren 14,8-Prozent-Erfolg bei der Europawahl im Juni 2009 bereits für Aufsehen gesorgt hatte, konnte ihr Ergebnis auf 16,7 Prozent steigern. Damit entfallen mehr als zwei Drittel sämtlicher Stimmen auf die völkische Rechte. Die sozialdemokratische Partei MSZP stürzte auf rund 19,3 Prozent ab, die demokratisch-ökologisch orientierte Partei "Lehet Más a Politika" (LMP, "Eine andere Politik ist möglich") erreichte 7,4 Prozent.

Reinkarnation der Pfeilkreuzler

Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich weithin auf die rechtsextreme Partei Jobbik, die im künftigen ungarischen Parlament mit fast 30 Abgeordneten die drittgrößte Fraktion stellen wird. Jobbik repräsentiert das offen antisemitische, antidemokratische Milieu, das mit den zunehmenden Gewalttaten vor allem gegen Roma, aber auch gegen Juden, Linke und Liberale in Verbindung gebracht wird. Mindestens acht Roma sind in den letzten Jahren durch rassistische Morde zu Tode gekommen. Tatsächliche oder vermeintliche Juden werden immer öfter öffentlich beschimpft. Auch Liberale sehen sich einer wachsenden Gewalt ausgesetzt: Mehrfach mussten liberale Organisationen wegen rechtsextremer Drohungen öffentliche Veranstaltungen absagen. Beobachter nennen Jobbik "eine Art politische Reinkarnation der ehemaligen Pfeilkreuzler", der ungarischen Parteigänger der NSDAP.[1] Die "Ungarische Garde", eine Miliz aus dem Umfeld von Jobbik, die Kritiker als "SA-ähnliche paramilitärische Organisation" bezeichnen [2], hat durch provozierende Aufmärsche in Roma-Siedlungen internationale Bekanntheit erlangt. Sie ist offiziell verboten worden, tritt aber unter einem anderen Namen erneut auf. "Jobbik hat im ganzen Land Strukturen aufgebaut", sagt Kai-Olaf Lang, ein Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wie er urteilt, könnte sich die Partei "langfristig als politische Kraft im Parlament etablieren".[3]

Kein Parteienstreit mehr

Völkisch orientiert ist auch die rechte Partei Fidesz, die die nächste ungarische Regierung stellen wird. Fidesz verfolgt über die ungarischsprachigen Minderheiten in den angrenzenden Staaten eine "Großungarn"-Politik [4]; die Partei-Ideologie umfasst, wie die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky im Gespräch mit dieser Redaktion bestätigte, einen strukturellen Antisemitismus sowie eine völkische Mythologie ("Lehre von der Heiligen Ungarischen Krone").[5] Zwischen Jobbik und Fidesz gebe es "keine scharfe ideologische Trennlinie", urteilen Kritiker.[6] Magdalena Marsovszky zufolge war Fidesz sogar in die Gründung von Jobbik eingebunden.[7] Parteichef Viktor Orbán hat schon vor Jahren seine politischen Gegner "fremdartig" sowie "fremdherzig" genannt. Erst kürzlich erklärte er mit Blick auf den lange vorhergesagten Wahlsieg seiner Partei unter Rückgriff auf alte antidemokratische Stereotype: "Statt eines dualen Kraftfeldes, das durch dauernde Wertedebatten die Gesellschaft teilende, kleinliche Folgen generiert", komme nun endlich "eine dauerhafte, große Regierungspartei zustande", "ein zentrales Kraftfeld", das "nicht in ständigen Streit verfallen", sondern "fähig" sei, "sich der nationalen Sache anzunehmen".[8] "Die Ungarn" hätten mit der Wahl von Fidesz "einen Schlussstrich unter eine Ära gezogen, die versagt hat", erklärte Orbán an diesem Sonntag.[9]

Nach deutschem Modell

Die völkische Politik, wie sie auch Fidesz verfolgt, wird innerhalb der Europäischen Union vor allem von Deutschland forciert. Budapest versteht sich als Schutzmacht für die Angehörigen der ungarischsprachigen Minderheiten in seinen Nachbarstaaten und mischt sich zu ihren Gunsten in die inneren Angelegenheiten der Grenznachbarn ein; damit ahmt es das Vorbild Berlins nach, das über die deutschsprachigen Minderheiten ebenfalls in die innere Politik fremder Länder eingreift. Dass Viktor Orbán den Angehörigen der ungarischsprachigen Minoritäten die Staatsbürgerschaft seines Landes verleihen und sie damit zu Bürgern Ungarns machen will, wird nach Einschätzung von Berliner Regierungsberatern neue Spannungen in Osteuropa hervorrufen, insbesondere in den Beziehungen zur Slowakei [10]; dennoch entspricht Orbán damit nur dem Beispiel Deutschlands, das in den letzten 20 Jahren Hunderttausende Polen und Zehntausende Tschechen mit deutscher Abstammung zu Bürgern der Bundesrepublik gemacht hat [11]. Völkische Organisationen der ungarischsprachigen Minderheiten in Rumänien, Serbien und Kroatien gehören als Voll- oder als assoziierte Mitglieder der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) an, einer Vorfeldorganisation der Berliner Außenpolitik, die von Flensburg aus mit Mitteln des deutschen Staates und mit Unterstützung deutschsprachiger Minderheiten sowie des Büros des ungarischen Ministerpräsidenten Sprachminoritäten in Europa und Asien fördert.[12] Zudem sind sich Berlin und Budapest bereits seit den 1990er Jahren einig in ihrem Kampf gegen die Beneš-Gesetze, mit denen die Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg die Konsequenz aus der gemeinsamen deutsch-ungarischen Aggression des Jahres 1938 gezogen hatte.[13]

Mit deutscher Hilfe

Auch Orbáns Partei Fidesz selbst ist eng mit Deutschland verbunden; nicht nur im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei (EVP), in der CDU und CSU eine starke Stellung innehaben - der EVP gehören übrigens auch die ungarischsprachigen Minderheitenparteien in der Slowakei (Strana maďarskej koalície, SMK) und in Rumänien (Uniunea Democrată Maghiară din România, UDMR) an, die in diesem Rahmen bereits direkt mit Fidesz kooperieren können. Der Fidesz gehört darüber hinaus zu den Kooperationspartnern der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU). Die ihm nahestehende Stiftung für ein bürgerliches Ungarn (Polgári Magyarországért Alapítvány, PMA) wurde vor Jahren mit Unterstützung der Konrad-Adenauer- und der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) gegründet. Ort der Gründung war damals die Budapester Gyula-Andrássy-Universität, die eng an staatliche deutsche Stellen angebunden ist.[14]

Das "Unrecht" der Friedensverträge

Selbst radikale Zuspitzungen völkischer Politik in Ungarn finden Parallelen - und Rückendeckung - in Entwicklungen bei der europäischen Hegemonialmacht. So wird von der völkischen ungarischen Rechten, auch vom Fidesz, immer wieder der Friedensvertrag von Trianon in Frage gestellt. Der Vertrag aus dem Jahr 1920 legte unter anderem die neuen Grenzen Ungarns fest, das gemeinsam mit Österreich und Deutschland zu den Kriegsaggressoren von 1914 gehört hatte. Inzwischen wird auch in der Bundesrepublik öffentliche Kritik an den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg geübt. Vergangenes Jahr schrieben deutsche Massenmedien zum 90. Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages, das Abkommen habe klar gegen das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" verstoßen: Eigentlich hätte Deutschland "größer und nicht kleiner werden" müssen, da nach dem Zerfall Österreich-Ungarns "Millionen Österreicher und Sudetendeutsche einen Anschluss an die Weimarer Republik erstrebten".[15]

Vorzüglich

Unter einer künftigen Regierung Orbán wird Ungarn am 1. Januar 2011 die Ratspräsidentschaft der EU übernehmen. Berlin will mit Hilfe Budapests wichtige außenpolitische Projekte realisieren, vor allem die "Donaustrategie", die der weiteren deutschen Expansion in Richtung Südosteuropa den Weg bereiten soll.[16] Der deutsche Außenminister nennt die deutsch-ungarischen Beziehungen "vorzüglich".[17] Unter deutscher Hegemonie über die EU kann die völkische Politik des Fidesz ohne Hindernisse weiter gedeihen.

Anlässlich des Wahlsieges der völkischen Rechten schaltet german-foreign-policy.com zwei Interviews über deren Politik frei:

"Transsilvanien ist unser"
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56924

"Lebensraum Karpatenbecken"
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57705.

[1], [2] Rudolf Ungváry: Die Auferstehung der Pfeilkreuzler in Ungarn; www.welt.de 09.04.2010

[3] Rechtsextreme schaffen Europas Pulverfass; www.sueddeutsche.de 12.04.2010

[4] s. dazu "Transsilvanien ist unser"

[5] s. dazu "Lebensraum Karpatenbecken"

[6] Rudolf Ungváry: Die Auferstehung der Pfeilkreuzler in Ungarn; www.welt.de 09.04.2010

[7] s. dazu "Lebensraum Karpatenbecken"

[8] Rudolf Ungváry: Die Auferstehung der Pfeilkreuzler in Ungarn; www.welt.de 09.04.2010

[9] Ungarn holt den Volkstribun zurück; www.rp-online.de 12.04.2010

[10] Rechtsextreme schaffen Europas Pulverfass; www.sueddeutsche.de 12.04.2010

[11] s. dazu Das deutsche Blutsmodell (II)

[12] zur FUEV und ihren Gründern, darunter ehemalige NS-Rassisten, s. auch Hintergrundbericht: Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen, Freund und Kollege, Schwelende Konflikte und Das Wirken der Deutschen im Osten

[13] s. dazu Ein besonderes Verhältnis und Das deutsche Blutsmodell (I)

[14] s. dazu Völkisch radikalisiert

[15] s. dazu Unerträglich hart und ungerecht

[16] s. dazu Die Donaustrategie

[17] s. dazu Die Spitze eines braunen Eisberges

Gregor Mayer, Bernhard Odehnal:

Aufmarsch

Die rechte Gefahr aus Osteuropa

St. Pölten/Salzburg 2010 (Residenz Verlag)

304 Seiten 21,90 Euro,
ISBN: 9783701731756

Genau zur richtigen Zeit ist "Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa" erschienen. Der Aufklärung über die extreme Rechte in Ungarn ist das erste Drittel des Bandes gewidmet, und solche Aufklärung tut nach dem Wahlerfolg von Jobbik (16,7 Prozent) bitter Not. Gregor Mayer, dessen aufschlussreiche Berichte aus Ungarn man regelmäßig in der österreichischen Presse lesen kann, beschreibt Aufstieg, Ideologie und die führenden Köpfe der rechtsextremen Partei, schildert ihre historischen Hintergründe und das soziale Umfeld, in dem sie gedeiht. Mayer lässt auch die ideologische und die organisatorische Rolle nicht außer Acht, die der künftige Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei für den Aufstieg von Jobbik spielten.

Neben Mayers ausführlichem Beitrag über die extreme Rechte in Ungarn finden sich Überblickstexte über die extreme Rechte in fünf weiteren Staaten, die in unterschiedlicher Dichte beleuchtet werden: Tschechien, die Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien. In journalistischem Zugriff beschreiben Mayer und Bernhard Odehnal die zentralen Figuren und Organisationen. Einen besonderen Stellenwert nimmt die steigende Gewalt gegen Roma ein. Nicht in jeder Hinsicht muss man den Autoren zustimmen, und manchmal hätte etwa eine deutlichere Differenzierung vielleicht mehr Klarheit gebracht: Die tschechische Arbeiterpartei, eine Splitterorganisation, die mittlerweile überdies verboten wurde, hatte bereits vor ihrem Verbot eine weit geringere Bedeutung als die 16,8-Prozent-Partei Jobbik, mit der die Mehrheitspartei Fidesz auf kommunaler Ebene kooperiert hat und deren Verbot überhaupt nicht in Betracht zu kommen scheint. Tschechien und Ungarn unterscheiden sich hier deutlich, was viel mit außenpolitischen Konstellationen und mit der Geschichte zu tun hat: In der ehemaligen Achsenmacht Ungarn stoßen die Nachfolger der NS-Kollaborateure eben eher auf Verständnis als im einst von Nazis und Ungarn überfallenen Tschechien.

Dennoch: Der Band bietet einen guten einführenden Überblick über die extreme Rechte in sechs Staaten Osteuropas, insbesondere in Ungarn. Und mit der völkischen ungarischen Rechten wird sich in nächster Zeit befassen müssen, wer sich über die Rechtsentwicklung in der EU Sorgen macht: Fidesz und Jobbik besitzen mit ihrer unverhohlenen Aggressivität zweifellos eine Art Vorreiterfunktion.


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